Corona: Kinder und Jugendliche leiden besonders

Zum Glück gibt es aber auch andere Beispiele. Tim (15) hat von seiner Schule einen perfekt durchgetakteten Zeitplan bekommen und saß bis vor Kurzem von morgens bis mittags in gut funktionierendem Online-Unterricht, bei dem er seiner eigenen Aussage nach genauso viel lernt wie normalerweise auch. Seine im Lockdown dazugewonnene Zeit hat er dazu genutzt, ein Instrument zu lernen und Pläne zu schmieden für die Zeit nach seinem Realschulabschluss. Er blickt seiner Zukunft sehr optimistisch entgegen, doch viele Gleichaltrige können das gerade nicht von sich behaupten.

Der 13-jährige Samuel sieht die Situation gerade noch gelassen und freut sich in erster Linie über die viele Freizeit, die er in seine Hobbys investieren kann. Auch er wirkt auf mich nicht antriebslos oder gar depressiv. Doch seine Schule lässt ihn ziemlich im Stich: Unterricht über Videokonferenzen gab es gar nicht, stattdessen nur ab und an eine Mail mit ein paar Aufgaben, die dann aber nie eingefordert oder korrigiert wurden. Samuel sagt, er ist darüber froh, doch in der Nachhilfe merke ich, wie sehr er hinterherhinkt. Sein Wissensstand entspricht nicht einmal annähernd dem eines Realschülers seines Alters. Die Umgewöhnung zurück zum normalen Schulalltag wird für ihn sehr schwer werden. In einer so bedeutenden Lebensphase hat er quasi ein Schuljahr verloren.

Viele jüngere Kinder haben zwar mehr Struktur und Halt, stehen jedoch wiederum vor anderen Herausforderungen. Für zwei meiner Nachhilfe-Schülerinnen fiel der Schulwechsel von der Grundschule aufs Gymnasium mitten in die Corona-Zeit. Für die 11-jährige Marie kam auch noch ein Umzug dazu, sodass sie keine ihrer neuen Mitschüler*innen kannte und sie nur online bzw. mit viel Abstand und Maske kennenlernen konnte. Das nagt doch sehr an ihr, und auch wenn sie eine gute Schülerin ist, merkt man, dass sie das Thema Schule traurig macht und sie nur sehr ungern dorthin geht.

Insgesamt scheinen mir meine Schüler*innen einsam und gelangweilt. Oft fiebern sie der Online-Nachhilfe richtig entgegen und wollen am Ende gar nicht aufhören zu reden. Auch wenn die Narzisstin in mir diese Tatsache gerne meinen pädagogischen Fähigkeiten zuschreiben würde, liegt es wohl doch eher daran, dass viele Kinder gerade sehr viel Zeit alleine und ohne genügend Ansprache verbringen. Dabei sehe ich sogar nur einen privilegierten Ausschnitt von Kindern und Jugendlichen, deren Eltern sich um ihre Bildung bemühen und die die technischen und logistischen Möglichkeiten besitzen, um an Online-Unterrichtseinheiten teilnehmen zu können. In den kommenden Jahren müssen wir uns also wohl nicht nur um die Bildungsdefizite unserer Schüler*innen sorgen, sondern auch um ihre psychische Gesundheit und ein sowieso schon überlastetes Therapienetz, das nun womöglich noch viel mehr junge Menschen auffangen muss.

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Bildquelle: Unsplash von Katie Gerrard; CC0-Lizenz