Was ist Extremismus?

Potenzial für Gewalttaten steckt in beiden Lagern: Mit der Rote Armee Fraktion (RAF) und dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) brachten Links und Rechts terroristische Gruppen hervor, die zahlreiche Morde und Raubüberfälle verübt haben. Während die RAF es in der Zeit zwischen 1970 und 1998 besonders auf Personen aus der Politik und Wirtschaft, Polizisten und amerikanische Soldaten abgesehen hatte, ermordete der NSU Anfang der 2000er 9 Menschen mit Migrationshintergrund und eine Polizistin. Einen fremdenfeindlichen Hintergrund sahen die Ermittler damals bei den NSU-Morden nicht (oder sie wollten ihn einfach nicht sehen). Damals prägten Medien den Begriff „Döner-Morde“. Der Verdacht: Clan-Kriminalität, Ehrenmorde oder das Werk türkischer Nationalisten, die einen Staat im Staate aufbauen wollen würden – der Verschwörungstheoretiker von heute lässt grüßen.

Eine weitere Gruppe bilden Fundamentalisten: Darunter fällt etwa auch der Islamismus, der sich einen muslimischen Gottesstaat zum Ziel gesetzt hat. Islamistischer Terror hat Europa in Form des sogenannten Islamischen Staats (IS) getroffen: Die Terrormiliz bekennt sich zu mehreren Anschlägen in Europa, darunter etwa in Frankreich, Großbritannien und auch Deutschland.

Wo ist die Grenze?

Die aktuelle Einstufung der Reichsbürger zeigt: Über die Grenze, an der eine politische Einstellung extremistische Züge annimmt, herrscht keine Einigkeit.

Laut Sicherheitsbehörden sind etwa 19.000 Menschen Teil der Szene, doch nur rund 950 von ihnen werden als Rechtsextremisten eingestuft. Als Erklärung lieferte die Bundesregierung, dass unter den Reichsbürgern und Selbstverwaltern zwar immer wieder antisemitische Einstellungen – bis hin zur Leugnung des Holocaust – zu finden sind, Antisemitismus aber „in der Regel kein tragendes Ideologie-Element und kein Agitationsschwerpunkt (Schwerpunkt politischer Hetze)“ der Szene sei.

Dass die Reichsbürger die demokratische Bundesrepublik ablehnen und einer Diktatur hinterhertrauern, scheint hier gekonnt ausgeblendet zu werden. Selbst ohne Gewaltpotenzial – soweit man das eben von Menschen behaupten kann, die Waffen horten und die hiesigen Gesetzte nicht anerkennen – verfolgen sie zutiefst verfassungsfeindliche Ziele: Kein Wunder, dass die Grünen-Politikerin Irene Mihalic von einer Fehleinschätzung spricht: „Es ist dringend an der Zeit, bei der Einordnung der Reichsbürger umzudenken und die rechtsextreme Gefahr zu erkennen, die von der Gruppe ausgeht“, sagt sie.

Um also die Frage zu beantworten, ab wann politische Gesinnungen in Extremismus übergeht: Ab dem Punkt, an dem sie die durch unsere Verfassung gegebenen Rechte Einzelner, von Gruppen oder dem gesellschaftlichen Leben schaden.

Mehr interessante Artikel zu diesem Thema:

Folge ZEITjUNG auf FacebookTwitter und Instagram!

Bildquelle: Wikimedia Commons; CCO-Lizenz