Im Mai ist bei mir wieder schlecht: Freundschaften unter Erwachsenen
„Ach, Mensch, Rahel, wir haben uns ewig nicht gesehen! Wann hast du denn mal wieder Zeit?“ Karina seufzt in mein Ohr. Im Hintergrund höre ich die Straßenbahn und Stimmengewirr. Sie ist auf dem Rückweg von der Arbeit. Verrückt, wie schnell nun doch wieder Normalität eingekehrt ist. Ich habe mir das Handy zwischen Kopf und Ohr geklemmt und hantiere mit der einen Hand am Türschloss herum, während ich mit der anderen Hund und Einkäufe jongliere. Es ist Donnerstagnachmittag.
Karina und ich haben uns seit fast zwei Jahren nicht gesehen. Wir telefonieren viel, jede Woche mindestens ein Mal, aber getroffen haben wir uns seit Pandemiebeginn nicht. Dass das jedoch nicht der einzige Grund sein kann, ist uns wohl beiden klar. Karina hat im vergangenen Jahr ihren Master beendet und in Mannheim eine Stelle in einem großen Unternehmen angetreten. Viel Arbeit, wenig Geld, große Zukunftsaussichten. Ich hänge noch in meinem letzten vollen Mastersemester, bin gerade umgezogen, habe Hund, Freund und Job und mein Leben läuft mir aktuell einfach so durch die Finger. Eben war noch Juni und wir haben uns versprochen auf jeden Fall ein richtig großartiges Wochenende am See zu verbringen und nun ist schon Ende Oktober.
Früher wäre uns das nicht passiert. Pandemie hin oder her, wir wären an einem Freitagabend spontan ins Auto oder die Bahn gestiegen, hätten bei der anderen auf der Fußmatte gestanden und das Wochenende mit Weinschorle, Pizza und Lachanfällen zwischen Couch und Spaziergängen verbracht. Zweieinhalbstunden Fahrt, was ist das schon? Wir hatten Zeit.
Heute ist das anders
Wir sind beide in festen Beziehungen, wohnen in ordentlichen 2-Zimmer-Wohnungen, haben Haustiere und diskutieren neuerdings über Sachen wie Webergrills oder Rote-Beete-Carpaccio. Wir treffen uns nur noch super selten mit Freunden auf WG-Partys. Stattdessen wird man auf Wein und Käseplatten eingeladen. Und noch etwas hat sich geändert: Man wohnt nicht mehr so nah zusammen.
Als ich meinen Bachelor im schönen Baden-Württemberg absolvierte, wohnten wir quasi Tür an Tür. Ein Anruf genügte und ich schwang mich auf’s Rad. Wer braucht schon Bahnen? Mit Freunden, die man noch aus der Schule kannte, wurde der Kontakt langsam weniger. Aber das war auch gar nicht schlimm. Schließlich studierte jede*r in einer neuen Stadt. Es galt, aufregende Menschen kennenzulernen, die Uni zu erobern und den ersten großen Liebeskummer zu überstehen. Das Chaos war unser stetiger Begleiter, gerade in den ersten Semestern. Neue Leute kamen und gingen, mit manchen hielt man ewig Kontakt, andere waren eher flüchtige Bekanntschaften. Doch man war auch nicht böse drum. Wir waren schön und die Welt groß!