
Für eine Zukunft des Planeten braucht es Kapitalismuskritik
Die weltweit dominierende Gesellschaftsordnung ist der Kapitalismus: Ob das gut ist, bleibt allerdings eine Frage der Perspektive. Zwar hat dieses System einigen Personen zu Reichtum verholfen und der freie Markt hat auch seine Vorzüge, aber es profitieren nicht alle gleichermaßen davon. Einer der größten Leidtragenden ist unser Planet, weswegen es in Anbetracht des Klimawandels Zeit für etwas Kapitalismuskritik ist.
In den 90er Jahren wurde oft ehrfürchtig vom „Sieg des Kapitalismus“ gesprochen, schreibt Richard Lowenthal im Medium. Die Sowjetunion war zerfallen und der Kommunismus in Russland gescheitert, während der Kapitalismus überdauerte. Ein Sieg für die Menschheit? Eher weniger.
Denn zum Kapitalismus gehört auch Ausbeutung: Sowohl die von Menschen als auch die des Planeten. Während einige wenige weiterhin Milliardenvermögen anhäufen, geht es vielen anderen Menschen immer schlechter. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Man könnte meinen, dass der „Sieg des Kapitalismus“ vielleicht doch gar nicht so gut war.
Was ist Kapitalismus?
Laut Definition der Encyclopaedia Britannica handelt es sich beim Kapitalismus um ein Wirtschaftssystem, das auf privatem Eigentum an Produktionsmitteln beruht. Moderne kapitalistische Systeme prägt eine marktorientierte Wirtschaft, in denen Marktkräfte die Produktion und Preise stärker bestimmen als zentrale Planung. In den letzten fünf Jahrzehnten hat sich der Kapitalismus weltweit durchgesetzt und ist zur dominierenden Wirtschaftsphilosophie geworden.
Kapitalismus ist untrennbar mit Individualismus verbunden. Wenn jeder seines Glückes Schmied ist, dann sind wir für niemanden außer uns selbst verantwortlich. Das stimmt zwar nicht, aber es ist eine nützliche Lüge.
Wie stehen andere Länder zur Rolle des Individuums?
Das Prinzip des Individualismus ist kein Naturgesetz. In Ländern wie China und Japan stehen tendenziell eher Gemeinschaft und Familie stärker im Mittelpunkt, weniger das Individuum. Führt man diesen Gedanken zu weit, ist das auch nicht wünschenswert. Wenn Individualität unterdrückt und stattdessen absolute Konformität gefordert wird, geht es den Menschen in einer Gesellschaft auch nicht besser.
Global herrscht ein Ungleichgewicht, das auf beiden Seiten negative Folgen haben kann. Dieses Ungleichgewicht hätte es aber nicht geben müssen. Ab den 1930er Jahren, vor allem aber in den 60ern und 70ern, kam es zu einem großen kulturellen Austausch zwischen Ost und West. Der Westen importierte östliche Güter, Philosophie und Spiritualität, während der Osten sich zunehmend dem westlichen Individualismus und Kapitalismus öffnete.
Laut Lowenthal verlief dieser kulturelle Austausch jedoch chaotisch und unvollständig. Während der Osten die schädlichen Auswüchse des westlichen Individualismus übernahm, adaptierte der Westen oberflächliche Aspekte östlicher Kulturen, ohne diese wirklich zu begreifen.
In dieser Zeit gab es auch im Westen viele Versuche, eigene Kommunen nach östlichem Vorbild zu schaffen. Lowenthal zufolge scheiterten die meisten jedoch daran, das westliche Gesellschaften schlecht darin sind, Gemeinschaften zu bilden. Gleichzeitig nahm der Westen östliche spirituelle und religiöse Traditionen auf, die jedoch verwässert und dem westlichen Denken angepasst wurden. Dennoch bleibt irgendein kultureller Austausch immer noch besser als gar keiner.
Wie kulturelle Isolation unsere Lage verschlimmert hat
In den 80er Jahren folgte im Westen eine konservative Gegenbewegung, die viele der kulturellen Veränderungen der 60er und 70er Jahre rückgängig machte. Menschen im Westen lehnten östliche Gemeinschaftsansätze ab – alles, was ein Maß an gesellschaftlicher Verantwortung für Mitmenschen suggerierte, wurde als „Sozialismus“ abgestempelt und verteufelt. Der Westen kehrte zu Individualismus und Hyperkapitalismus zurück. Dieser Individualismus ist laut Lowenthal mittlerweile aber so extrem, dass er ihn nicht einmal mehr als „soziale Philosophie“ bezeichnen will – er nennt ihn „antisozial“.
Der Osten ist ebenfalls kapitalistischer geworden: Selbst China, das nach wie vor von einer dem Namen nach kommunistischen Partei geführt wird, hat den Kapitalismus in einem staatlich gelenkten System eingeführt. Der Individualismus als Staatsdoktrin hat sich dort allerdings nicht durchgesetzt, ebenso wenig wie in Japan.
Der Aufstieg der globalen Konsumkultur
Der Kapitalismus hat eine globale Konsumkultur geschaffen, die besonders nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA gefördert wurde. Inzwischen ist diese jedoch nicht nur auf die USA oder westliche Länder beschränkt: Länder wie China und Indien haben sich ebenfalls zu derartigen Konsumgesellschaften entwickelt, was dazu geführt hat, dass die Zahl an Konsumenten weltweit rasant gestiegen ist.
Das mag zwar einigen großen Unternehmen nutzen, die sich damit neue Märkte eröffnen, doch die Umwelt leidet unter der Konsumwut. Trotz anhaltendem Klimawandel werden im Namen des Wirtschaftswachstums weiterhin Ressourcen und Menschen ausgebeutet sowie Lebensräume zerstört. Der Kapitalismus und die damit verbundene Konsumkultur sind für Lowenthal somit die Hauptursachen für den ökologischen Niedergang des Planeten. Unsere Fixierung auf das „Ich“ lässt zudem immer weniger Platz für das „Wir“, worunter der soziale Zusammenhalt leidet.
Wie könnte eine bessere Gesellschaft aussehen?
Was wäre denn die Alternative, wenn uns weder Kapitalismus noch Individualismus voranbringen werden? Lowenthal sieht in den Sozialdemokratien Europas ein Vorbild: Eine Balance zwischen Individualismus, Kapitalismus und einem Gemeinschaftssinn.
Hier merkt man Lowenthal seine US-amerikanische Perspektive an. Im Vergleich zu den USA sind viele europäische Staaten weitaus „sozialer“, aber auch sie kämpfen mit den ähnlichen Problemen.
Auch in Deutschland werden die Reichen immer reicher und die Armen ärmer. Um unseren stetig wachsenden Konsum zu decken und die Wirtschaft immer weiter wachsen zu lassen, zerstören wir auch hier unsere Umwelt. Und sobald es darum geht, andere Mitglieder der Gesellschaft zu unterstützen, sagen viele Leute noch immer:
„Wenn es denen schlecht geht, ist das ihre eigene Schuld! Ist doch nicht meine Verantwortung. Und überhaupt: Was hat diese Gesellschaft je für MICH getan?“
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Bild: © Vecteezy