Viele Geisteswissenschaften-Studis sind die Frage nach ihren Berufsaussichten leid. Bild: Pexels

Und was macht man damit? – Die Gretchenfrage der Geisteswissenschaftler*innen

Die zweite Möglichkeit ist es, die Berufsaussichten vorzufiltern und an Onkels Erwartungen anzupassen. Denn der möchte wie gesagt einen fertigen Beruf hören. Also antworte ich selbstbewusst und als stünde es schon lange fest, dass ich demnächst als Journalist arbeiten werde, dass ich schon ein Praktikum in diesem Bereich gemacht habe und, dass der Journalismus sowieso schon immer mein Ziel war. Das ist zwar in der Tat eine gute und erstrebenswerte Option für viele Geisteswissenschaftler*innen, aber natürlich nicht der einzige Karriereweg. Mit einer solchen eindimensionalen Antwort aber ist mein Onkel erstmal zufriedengestellt und ich werde nicht mit weiteren skeptischen Fragen konfrontiert. 

Die dritte Option wende ich dagegen nur in speziellen Situationen an. Entweder, wenn nach Onkel am selben Abend auch noch drei weitere Familienmitglieder dieselben kritischen Fragen stellen oder wenn angetrunkene BWL-Studenten das Bierholen für einen Karriere-Smalltalk nutzen. Dann nämlich ist es mir zu viel, mich auf eine Diskussion einzulassen und die immer gleiche Kassette abzuspulen. Wenn mir beim Gegenüber schon klar ist, dass er mit einem Studium der Kulturwissenschaft nichts anfangen kann und nur in seinen festgefahrenen Mustern denkt, ist es Zeit für die Option Ironie. Dann antworte ich auf die Frage „Was macht man denn damit?“ trocken und ohne mit der Wimper zu zucken: „Gar nichts. Ich werde Taxifahrer.“ Auch damit schafft man es, ungläubigen Blicken und anstrengenden Erklärungen aus dem Weg zu gehen. Ich werde zwar belächelt, aber wenigstens ist das Thema abgehakt.  

Eigentlich aber schade, denke ich im Nachhinein. Schade, dass die Geisteswissenschaft so wenig Anerkennung genießt. Schade, dass es scheinbar erstrebenswerter ist, BWL oder Lehramt zu studieren. Und vor allem schade, dass ich meine Energie nicht verwendet habe, um für mein Studium, von dem ich überzeugt bin, einzustehen. Aber diese Bemühungen wäge ich immer öfter ab – und zwar unter verschiedenen Aspekten. Bei Menschen aus meinem nahen Umfeld zumindest ist es mir wichtig, dass sie verstehen, was ich da mache. Dass sie eine Vorstellung von meinem Studiengang haben und von den beruflichen Optionen. Aber vor allem ist mir wichtig, ihnen meine Perspektive auf das Studium zu verdeutlichen. Denn, so meine Meinung, beim Studieren geht es eben nicht nur darum, eine Berufsausbildung zu machen. Es geht darum, sich seinen Interessen zu widmen und sich weiterzubilden. Es geht darum, neue Dinge zu erfahren, offen zu sein für neue Gedanken und gleichzeitig eine kritische Haltung anzunehmen.   

Sicher möchte man das Studium auch nutzen für den Einstieg in das Berufsleben, aber es ist eben nicht der einzige Sinn und Zweck. Und trotzdem gelingt es. Natürlich wird es kaum eine Stellenausschreibung geben, die nach einem Kulturwissenschaftler sucht. Aber, das hat mich mein Studium gelehrt, es lohnt sich offen zu sein für Neues, bereit zu sein für neue Herausforderungen und kreativ zu werden. Denn die Türen stehen mir mit meinem Studium offen und das liegt vor allem an meiner veränderten Haltung. Ob ich nach meinem Studium dann in den Bereichen Medien und Journalismus lande oder in der Kulturbranche, ob ich in einem Wirtschaftsunternehmen in der Kommunikationsabteilung arbeite oder ob mein Arbeitsplatz das Auswärtige Amt wird, das weiß ich noch nicht. Trotzdem schaue ich optimistisch in meine Zukunft und genieße mein Studium. 

„Und was macht man dann damit?“

„Was man damit macht, kann man nicht so eindeutig sagen“, erkläre ich meinem Onkel, „aber aktuell mache ich jedenfalls ein Praktikum in der Redaktion eines Online-Magazins und schreibe einen Artikel über die Gretchenfrage der Geisteswissenschaftler.“ 

Diese Artikel könnten dir ebenfalls gefallen:

Folge ZEITjUNG auf FacebookTwitter und Instagram!

Bildquelle: Pixabay auf Pexels; CC0-Lizenz