Hassobjekt: Die Freizeit-Prostitution auf dem Onlinedating-Fleischbazar
Ca 40% aller Haushalte in Deutschland sind Einpersonenhaushalte. Das bedeutet, da draußen laufen jede Menge paarungswillige, potentielle Sexualpartner*innen herum. Da wir natürlich alle bis zum Hals in unterbezahlter Arbeit stecken, hat der Liebe Gott – oder besser gesagt irgendwelche findigen Startup Gründer – uns die Dating Apps geschenkt, um uns das Balzverhalten zu erleichtern. Dank Tinder, Lovoo, Badoo und Co. sind wir nur noch einen Daumenwisch von unserem Traumdate entfernt. Alles, was wir jetzt noch brauchen, ist etwas Geduld um uns durch das riesige Angebot zu swipen, und die ganz große Liebe zu finden. Oder eben die ganz große Lust.
Die Tinder-Gesellchaft
Ob es nun um einen preisgünstigen schnellen Fick geht oder die Akquise des fehlenden Elternteils für die Familienplanung – auf dem größten Online-Fleischmarkt können wir alles finden, wonach sich unser zu verkümmern drohendes Herz sehnt. Allein schon in einem Radius von 3 Kilometern kann die Suche natürlich ein abendfüllendes Programm darstellen. Doch keine Sorge, während auf RTL „Der Bachelor“ läuft bleibt noch genügend Zeit, sich nebenher durch 2 Millionen deutsche Tindernutzer*innen zu wühlen. Und außerdem: Wie war das doch gleich mit den vielen Fröschen, die man küssen muss um… ja um was eigentlich? Was versprechen wir uns wirklich von Dating-Apps?
Eine Plattform, in der sich Menschen anbiedern und verkaufen
Geht es um den kleinen Kick, der durch ein Match ausgelöst wird? Läuft uns das Wasser im Mund zusammen, beim Texten mit einem Kerl auf dem verzweifelten Versuch, sich durch den Verzicht auf Oberkörperbekleidung interessant zu machen? Sind Selfies von prolligen Typen in dicken Autos zum Dahinschmelzen? Werden wir ganz wuschig, wenn uns Katzenmädels anbieten, ihre Pussy zu streicheln? Verlieben wir uns etwa in ein durch Snapchat-Filter verzerrtes Bambi-Gesicht mit Blumenkranz auf dem Kopf? Und von den Humanitarians of Tinder möchte ich gar nicht erst anfangen. Letztendlich wurde doch auch hier wieder nur eine Plattform erschaffen, in der sich Menschen anbiedern und verkaufen können. Es ist bemerkenswert, wie selbstverständlich es geworden ist, das eigene Ansehen gegen einen sexuellen Mehrwert einzutauschen.
Ein Sammelsurium von Psychopath*innen
Kein Wunder, dass Tinder und Co. zu einem Sammelsurium von Psychopath*innen mutiert ist. Denn wer sich beim Online-Dating ganz nach oben schlafen will, braucht ein dickes Fell. Oder eines, das man schnell ausziehen kann. Vermutlich gibt es Online auch nicht mehr oder weniger Verrückte, als da draußen auch rumlaufen. Doch hinter einem anonymen Profil Spinner zu entlarven ist gar nicht so leicht. Der irre Gesichtsausdruck wird häufig als charmant oder selbstbewusst verkauft. Sprüche, die ihren Platz weit unter der Gürtellinie haben, sind plötzlich witzig und bekommen ihren eigenen Instagram Account. Und als hätte man es uns nicht besser beigebracht, treffen wir uns mitten in der Nacht mit wildfremden Menschen aus dem Internet für den Austausch von Körperflüssigkeiten. Romance is dead. Diesmal wirklich.
Selbstbeweihräucherung und Freizeit-Prostitution
Natürlich muss ich gestehen, dass es sie gibt. Die Traumpaare, die von ihrer besseren Hälfte online angezogen wurden, die der Liebe auf den ersten Screenshot verfallen und jetzt Eltern der ersten Generation Tinder-Babys geworden sind. Jene, die ihr Selfmarketing richtig eingesetzt haben und jemanden finden konnten, der sie in ihrem Ansehen bestätigt und bestenfalls mit einigen Hundert Followern ergänzt. Ich möchte ihnen ihre Liebe auf keinen Fall absprechen. Letztendlich ist es doch so: Die Dating-Apps sind nicht das Übel unserer Gesellschaft. Das Problem ist, dass wir sie offensichtlich brauchen, um unserer Selbstdarstellung ein nettes Topping zu verleihen und die Freizeit-Prostitution auf die Spitze zu treiben.
Wir wollen ja nichts verpassen
Denn was sind Dating-Apps anderes, als eine riesige überregionale Börse, auf der riesige Möpse gegen riesige Schwänze getauscht werden? Wo die Körpergröße zu einem Maß der Beliebtheit wird (alles über 1,80 m steht für einen tollen Typ) und Urlaubsfotos für den Marktwert ausschlaggebend sind. Eine Anflutung von Oberflächlichkeiten führt zu oberflächlichen Begegnungen von meist sehr kurzer Dauer. Auf der Fahrt im Schnellzug in Richtung sozialer Katastrophe können wir beim Blick aus dem Fenster sehen, wie unsere Würde an uns vorbei fliegt, während wir gleichzeitig nachsehen, ob sich etwas vögelwürdiges in unserem Abteil aufhält. Und dann aber schnell. Wir wollen ja nichts verpassen!
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Bildquelle: Unsplash unter CC0 Lizenz