Die Orgasm Gap: „Ich dachte, Sex funktioniert nun mal so“
In heterosexuellen Beziehungen kommen Frauen sehr viel seltener zum Orgasmus als Männer. Das nennt man Orgasm Gap. Aber woran liegt das und was können wir dagegen tun?
„In meinen bisherigen Beziehungen war es halt immer so ein ‚Nice to have‘, wenn ich auch gekommen bin“, erzählt Sanni. Aber Normalfall war das nie. Wie viele Frauen dachte die 20-jährige Studentin: Der männliche Orgasmus ist das Hauptziel, der Sex vorbei, wenn er gekommen ist.
Beim Sex kommen 95% der heterosexuellen Männer aber nur 65% der heterosexuellen Frauen zu einem Orgasmus. Diese Lücke bezeichnet man als „Orgasm Gap“. Mit Gleichberechtigung im Bett hat das nur wenig zu tun. Beim gleichgeschlechtlichen Sex hingegen sieht es anders aus: 89% der homosexuellen Männer kommen zum Orgasmus, während es bei den homosexuellen Frauen 86% sind.
„Ich dachte schon, dass das irgendwie normal ist“, sagt Sanni. „Von meinen Ex-Freunden kam da auch nie der Wunsch etwas zu ändern.“ Wirklich toll fand Sanni das nicht, sie hat es aber akzeptiert. Dachte, sie müsste das akzeptieren. So funktioniert Sex nun eben mal.
Unser Bild von Sex ist verzerrt
Das Bild von Sex in unserer Gesellschaft hat oft nicht viel mit der Realität zu tun. Es ist geprägt von Pornos, veraltetem Sexualkundeunterricht und romantischen Romanen. In Pornos kommt der Mann immer zum Höhepunkt und das ist dann meistens auch der Zeitpunkt, an dem der Film endet. Die Frau kommt – wenn sie überhaupt einen Orgasmus hat – durch reine Penetration. Klitorale Stimulation ist für die meisten nur das Vorspiel, nicht aber der eigentliche Sex. So sinkt die Chance des weiblichen Orgasmus.
„Woher soll der Mann wissen, wie der weibliche Orgasmus funktioniert, wenn er es nicht lernt?“, fragt sich Sanni. Sie gibt dem Sexualkundeunterricht in der Schule eine große Mitschuld daran. Denn der ist sehr einseitig: Samenergüsse gehören zwangsläufig zum Sex dazu und die Fortpflanzung steht im Mittelpunkt. „Unserer Lehrerin war das sogar ein bisschen peinlich“, erinnert sich Sanni. „Sie hat wirklich nur das Nötigste gemacht.“ Dass es beim Sex auch um Liebe und Bedürfnisse geht, wird da einfach ausgelassen.
Kommunikation ist entscheidend
Diese Bedürfnisse sollten in einer gesunden Beziehung kommuniziert werden. „Bei meinem Ex-Freund war es schon manchmal so, dass ich gesagt habe, was mir gefallen würde. Von ihm kam dann nur ein ‚Das will ich jetzt nicht‘. Für mich war es kein Problem, dass er nicht wollte. Mein Problem war, dass wir nicht darüber sprechen konnten. Ihn hat das irgendwie gar nicht interessiert.“ In ihrer derzeitigen Beziehung hat sich das geändert. Sanni und ihr Freund sind jetzt seit eineinhalb Jahren zusammen. „Wir haben von Anfang an offen über Sex gesprochen“, erzählt Sanni. Die beiden haben ihre Bedürfnisse aufeinander abgestimmt. Sannis Freund ist es wichtig, dass sie genauso viel Spaß am Sex hat wie er selbst. „Es kommen dann sogar oft von ihm Vorschläge und Ideen, was wir für mich ausprobieren können. Das ist schon echt irgendwie etwas Besonderes.“ Sex ist etwas, was Sanni und ihr Freund gemeinsam erleben wollen. Ein gutes Sexleben stärkt auch ihre Beziehung. „Ich merke aber, dass diese Orgasm Gap echt irgendwie bei allen in meinem Freundeskreis Thema ist.“
Aber was dagegen tun? „Ich glaube, dass es wichtig ist, dass man sich mehr mit sich und seinem Körper auseinandersetzt“, meint Sanni. Wieso sich nicht selbst einmal im Spiegel betrachten, sich berühren und sich verstehen? „Denn woher sollen andere wissen, was mir gefällt, wenn ich es selbst nicht einmal weiß.“ Vor allem aber ist es auch wichtig das gesellschaftliche Bild von Sex zu überdenken. Helfen können dabei Podcasts oder Pornos von Frauen für Frauen, die eine weibliche Perspektive ermöglichen.
Aber wir sollten dabei auch nicht vergessen: Sex ist mehr als ein Orgasmus. Es geht um Nähe und Berührung. „Ich muss nicht bei jedem Mal Sex zwangsläufig einen Orgasmus haben“, sagt auch Sanni. Es geht viel mehr darum, offen zu sein, sich zuzuhören und auf die Bedürfnisse voneinander Rücksicht zu nehmen.
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Bildquelle: Roman Odintsov auf Pexels; CC0-Lizenz