Generationen

Traditionen: Das haben wir immer schon so gemacht!

Traditionen bedeuten für viele Menschen Sicherheit und Verlässlichkeit. Sie kommen jedes Jahr wieder und verändern sich kaum. Glauben wir zumindest. Aber ist das wirklich so? Nein, meint zumindest die Ritualforschung. Denn Traditionen können mehr.

Der Dezember ist die Zeit der Traditionen. Kein Monat ist in der westlichen Kultur so vollgepackt mit Feiertagen, familiären Zusammenkünften und durch-choreographierten Ritualen. Sei es die Schokolade im Schuh an Nikolaus, der Adventskalender oder Dinner for One an Silvester. Für viele von uns ist diese Zeit eine ganz besondere, denn sie gibt uns Halt im Chaos und eine Insel der Ruhe im alltäglichen Wahnsinn. Je nachdem, wie traditionsbewusst die einzelnen Familienmitglieder sind, kann es da auch gut und gerne mal zum Streit kommen.  Spätestens dann, wenn die Familie wächst und sich plötzlich zwischen mehreren Traditionen entschieden werden muss. Feiern wir Heiligabend nun bei deiner oder meiner Familie? Wie verbringen wir den ersten Weihnachtstag? Kirche, ja oder nein? Da kann die ach so besinnliche Zeit schnell zur Zerreisprobe werden. Aber sollten Traditionen uns nicht eigentlich beruhigen? Dagmar Hänel ist Traditionsforscherin und meint, dass wir Rituale häufig falsch verstehen.

Woher kommen Traditionen?

Hänel ist Leiterin der Abteilung für Volkskunde am LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte in Bonn. Sie forscht seit vielen Jahren zu unserem Umgang mit Traditionen und erklärt, dass diese ebenso viel mit der Zukunft zu tun haben, wie mit der Vergangenheit. Dementsprechend sind Traditionen eben nicht unveränderlich, sondern wachsen und verändern sich mit den Menschen, die sie ausüben. Das verrät auch schon der Wortstamm. Das deutsche Tradition kommt vom lateinischen tradere und bedeutet weitergeben, allein diese Herleitung ist schon ein Hinweis auf die Tradition als Prozess und nicht als Stagnation.

Wenn man es genauer betrachtet, ist es ganz einfach. Unsere Eltern leben die Traditionen, die sie von ihren eigenen Eltern oder ihrem sozialen Umfeld im Allgemeinen erlernt haben. Das kann im Grunde alles sein, vom Gänsebraten am ersten Weihnachtstag, über das Eiersammeln an Ostern bis hin zu kleinen Dingen, wie der Tatort am Sonntagabend. Wir wachsen also mit den Traditionen auf, die unsere Bezugspersonen für wichtig erachten. Diese bewerten wir dann für uns selbst. Sind sie mir wichtig? Tun sie mir gut? Will ich Weihnachten eine Gans essen oder bin ich Vegetarier*in? Haben wir dann selbst Kinder, werden diese mit den neu geschaffenen Traditionen aufwachsen und sie wiederum hinterfragen und anpassen.

Gerade in einer multikulturellen Gesellschaft wie der unseren, unterliegen Traditionen einem ständigen Wandel. Es kann nicht mehr automatisch davon ausgegangen werden, dass der Nachbar Weihnachten feiert, nur weil ich das tue. Das ist gut und richtig und bietet die Chance die eigenen Rituale zu hinterfragen. Warum feiere ich Weihnachten eigentlich? Bin ich überhaupt gläubig oder dekoriere ich den Baum aus nostalgischen Gründen?

Die Angst vor dem Wandel

Und obwohl es zunächst so einfach klingt Traditionen anzupassen und kreativ auszuleben, ist dieser Prozess doch für viele von uns angsteinflößend. Denn so steif Rituale auf den ersten Blick auch wirken mögen, so viel Sicherheit geben sie uns auch in schwierigen Momenten. Gerade während der Pandemie kann es tröstend sein, genau zu wissen, was man während der Feiertage macht. Traditionen helfen uns, ein Gemeinschaftserlebnis zu gestalten und uns als Teil einer Gruppe zu fühlen. Wer ein hartes Jahr hinter sich hat, kann vielleicht schlechter mit dem Gedanken umgehen, dass nun auch noch die Feiertage anders ablaufen als geplant. Da muss es nicht unbedingt ein Zeichen von Engstirnigkeit sein, wenn man sich einfach ein „normales“ Jahresende wünscht. Was auch immer das im Einzelfall bedeuten mag.

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Bildquelle: RODNAE Productions von Pexels; CC0-Lizenz