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„Verweile doch, du bist so schön“: Die kleinen Momente im Leben sind die Wichtigsten

Der Asphalt flackert in der Hitze, während wir darüber gehen. Während wir reden und uns ansehen. Stunden später färbt der Morgen den Nachthimmel in rote Farben, ich trage deine Jacke über meine nackten Arme. Spüre deine Hand auf meiner Schulter. Ich lächle. Wir bleiben stehen, lehnen uns an eine der alten Häuserfassaden in der Seitengasse … Zeiten, in denen wir intensiv fühlen, viele Emotionen haben, die sind das pure Leben. Und an diese werden wir uns auch noch in Jahren erinnern. Ich plädiere für mehr Gefühl im Jetzt!

Ständig planen wir Ereignisse in der Zukunft, der Kalender ist voll von Datierungen für das „größere Glück“. Als wäre es normal, immer in Bewegung zu sein. Festivals und Roadtrips, und was auch immer der Sommer dir zum „größeren Glück“ verspricht. Hach ja Vorfreude ist ja schön… aber versteckt sich das nicht auch manchmal schon in ganz banalen Momenten und wir nehmen es vielleicht immer noch zu selten wahr? Wir sollten uns eben auch im jetzigen Moment mal das Glück schnappen. Eigentlich braucht es doch irgendwie gar nicht unbedingt geplante Ereignisse in Aussicht, an denen wir das Leben feiern können. Denn neben den geplanten, sind manchmal auch die ungeplanten Dinge, ja die Unspektakulärsten, ein Spektakel! Die einfachsten, alltäglichen, von mir aus nenne sie langweiligsten Momente, sind oft die, in denen ich das Gefühl habe, ich bin gerade jetzt zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Es sind die „ach so kleinen“ Momente, an die ich mich immer wieder mal erinnere. Weil ich sie in mich aufgesaugt habe, als ich es konnte. Innehalten, verstummen, fühlen. Und ich beschließe es einfach mal kurz in großem Ausmaß zu genießen.

Momente festhalten, indem man danach greift

Manche Erlebnisse wollen wir vergessen, aber können es nicht. Das liegt daran, dass Gefühle die Fähigkeiten unseres Gehirns beeinflussen. Emotionen fördern die Erinnerung. Etliche Forscher schreiben darüber seit Jahren. Manches wollen wir vergessen, aber manches möchten wir behalten. Oft erscheinen viel zu viele Dinge vielleicht im ersten Moment bedeutungslos. Obwohl sie das nicht sind. Zeit, die man verbringt wird als „nicht aufregend“ abgestempelt. Mit langweilig assoziiert. Und damit mit unbedeutend. So entgleiten uns Momente. Wir sollten viel öfter darin verharren. Still leben. Ohne Spektakel und Getöse. Vom Leben bewegt. Gemeinsam über den gepflasterten Asphalt an parkenden Autos und verstaubten Schaufenstern vorbei laufen und sich hin und wieder achtlos zu berühren.

Manchmal nicht der Rede wert, aber des Gefühls! Eigentlich ist alles besonders, weil nichts gleich ist. Und nie mehr so sein wird, wie gerade jetzt. Nur deshalb halte ich mal eben kurz die Zeit an, bleibe stehen und archiviere den Moment. Vermutlich kann ich nächsten Sommer nicht mal mehr sagen, welcher Monat es war. Aber ich kann dir sagen, dass ich super glücklich war. Dass ich wusste, dass ich mich daran auch noch ein Jahr später erinnern werde. Jahre später. Dass es jetzt ein Teil meiner Glücksrepertoires ist, ein schöner Moment mehr im Marmeladenglas. Und mittlerweile fülle ich ganze Regale voller Gläser. Manchmal streife ich umher und öffne das ein oder andere Glas. Falte die kleinen Zettelchen auseinander und lese. Und grinse.

Ein Archiv an Erinnerungen

Alles, was in uns Gefühl auslöst, will man doch eigentlich für immer in sich tragen. Dass die Zeit stehen bleibt, wie man so schön sagt. Nicht nur der Selfie-Trend verkörpert im Prinzip genau das. Man hält das fest, was sich gerade gut anfühlt. Die gemeinsamen Bilder können wir uns via WhatsApp zuschicken. Sprachmemos teilen anderen Menschen ruckzuck etwas mit. Emojis transportieren Gefühle. Technik – das Marmeladenglas der Moderne. Manchmal erscheint es mir fast lächerlich, wie real das wahrgenommen wird und man darüber manchmal den Blick für das Wesentliche verliert. Ich bin Fan von WhatsApp – als Teil. Noch mehr Fan bin ich vom Ganzen! Es ist toll und praktisch, dass man Verläufe speichern kann, aber noch besser ist es echte Erinnerungen mit ganz vielen Gefühlen zu haben! Es vergeht alles schneller als man gucken kann.

Deshalb ist keine Zeit da, Momente zu übersehen. Ehe ein Moment da ist, ist er auch schon wieder weg. Mit jedem Tag verlieren wir an Zeit. Da irgendwie alles vergänglich ist, sollten wir zumindest dazu beitragen, dass es beständig ist. Dass es bleibt, auch wenn es vorbei ist. Ich trage alles, was ich erinnere in meinem Kopf, alles, was ich erlebe, in meinem Herz. Noch immer kann ich mich jeder Zeit in mein kleines großes Archiv verziehen und zumindest so tun, als könnte ich die Zeit wiederholen. Weil sie so gut war. Und ab und an verharre ich in dem Raum voller Regale mit Marmeladengläsern und betrachte ein, zwei oder drei, vier, fünf Polaroid Bildchen, die mit roten Wäscheklammern an einer kilometerlangen Leine hängen. Déja vu, ja. Schon gesehen, nochmal erinnert. Egal, wie banal es erscheint, neige ich tatsächlich dazu möglichst viel von dem zu behalten, was um mich herum passiert. Und vor allem dann, wenn ich stark dabei empfunden hab.

Wie im Film, bloß im real life

Ein Bereich unseres Gehirns nennen wir Amygdala. Dieser zählt zum limbischen System und ist für die Emotionen zuständig. Bereits 1996 hat Larry Cahill aus Kalifornien mittels sehr emotionaler Filmszenen an Probanden getestet, wie gut diese sich an die Inhalte erinnern. Dies zeigte, dass das Hirn Ereignisse, die mit starken Emotionen verknüpft wurden, besser speichert und man sich eher daran erinnert. Neurotransmitter wie Dopamin und Serotonin, sowie Noradrenalin unterstützen die Gedächtnisbildung, da diese die Signalübertragung zwischen unseren Nervenzellen bewirken. Ereignisse, bei denen wir starke Gefühle haben, bleiben auch eher im Gedächtnis hängen. Ich erinnere mich gerne an Worte, die mich bewegten. An Gespräche, Wortfetzen, an Gedanken. Und an ein Lachen, eine Berührung, ein Blick. An Empfindungen. Ich erinnere mich gerne an das, was Bedeutung hatte und noch hat. Ich bin gerade jetzt glücklich. Jetzt gerade. Wenn das nicht wert ist zu speichern, was denn dann? Es muss sich nicht immer was „Spektakuläres“ tun, dass sich was tut. Es ist auch mal ganz spektakulär, mitten in der Straße einfach anzuhalten. Sich anzusehen. Stehen bleiben. Stillleben. Lass mal echt mehr still leben! Mal den Moment genießen, anstatt ihn zu verpassen und auf andere Momente zu warten. Das Warten mit Bleiben nutzen.

Photo by Jakob Owens on Unsplash

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