Seitenwechsel: WM in Katar – Ist es wirklich zu spät?

In seiner Kolumne Seitenwechsel betrachtet unser Autor Paul aus einer politischen und kulturellen Perspektive die aktuelle Welt des Sports. Er blickt dabei weit über die Faszination des reinen Wettkampfes hinaus: Vom kommerzialisierten Profisport, über ehrenamtliche Vereinsarbeit, bis hin zum Fußballstammtisch in der Kneipe zieht er Rückschlüsse auf gesamtgesellschaftliche Phänomene, geprägt von seinen eigenen Erfahrungen.

In weniger als einer Woche beginnt die Fußball-WM in Katar – ironischerweise an Totensonntag. Sportschau-Experte Bastian Schweinsteiger jedenfalls freut sich. Und auch Ex-Nationalspieler Lukas Podolski hat kein Verständnis für alles andere: „Wer sich nicht auf die WM freut, egal ob Spieler oder Fan, der hat sie nicht alle.“ Damit beleidigt er dann wohl einen Großteil der Fußballfans – zumindest in Deutschland. Denn nahezu alles spricht bekanntermaßen gegen diese WM und das Gastgeberland Katar.

Über die korrupt gewonnene Wahl, die grauenhafte Menschrechtssituation, tausende verstorbene Gastarbeiter*innen und eine katastrophale Klimabilanz wurde in den letzten Wochen und Monaten ausreichend gesprochen. Man könnte meinen das wäre bei allen angekommen. Wie aber damit umgehen? Laut Schweini hätte man bei der Vergabe „eventuell noch drüber sprechen können, ob man es gut findet oder nicht. Aber jetzt ist es zu spät“. Dass die WM nun mitten in der Wüste stattfindet, steht fest. Dies zu verhindern, dafür ist es in der Tat mittlerweile zu spät. Also alle Kritik ignorieren und sich einfach freuen?

Von Seiten der Sportler erklärte Bundestrainer Hansi Flick jüngst: „Wir wollen uns nicht wegducken, sondern auf die Missstände aufmerksam machen.“ Eine lobenswerte Einstellung. Auch Menschrechtsorganisationen wie Amnesty International sehen in der WM die Chance, Aufmerksamkeit in Veränderung umzuwandeln. Das Gastgeberland Katar wird das Turnier nutzen, um sich zu präsentieren: als weltoffene Fußballnation. Gezeigt werden sollen nur die bombastischen Stadien und der Sport. Im Fokus der Aufmerksamkeit und damit gleichzeitig größtmögliches Sprachrohr für Kritik sind also die Spieler auf dem Rasen. Gerade sie stehen somit in der besonderen Verantwortung, Zeichen zu setzen und Missstände anzusprechen.

So ganz angekommen scheint dies bei der deutschen Nationalmannschaft allerdings noch nicht zu sein. Nationalspieler Nico Schlotterbeck ist sich keiner Verantwortung bewusst: „Wir Spieler können aus meiner Sicht ohnehin wenig beeinflussen“. Und auch Ilkay Gündogan sieht andere in der Pflicht. Ob es richtig oder falsch sei, dass die WM in Katar stattfindet, liege „nicht in meinem Bereich“. Das Nationalteam vertritt Deutschland bei der WM nicht nur als Fußballmannschaft, sondern eben auch als demokratisches Land. Darüber sollten sich nicht nur der Bundestrainer, sondern auch all seine Spieler bewusst sein und sich nicht aus der Verantwortung ziehen und schon gar nicht die Missstände leugnen. „Es geht im Großen und Ganzen um Menschenrechtsverletzungen, die grundsätzlich in jedem Land auftreten“, ließ beispielsweise Thomas Müller lapidar verkünden.

Natürlich sind die Spieler es nicht gewohnt, politisch Stellung zu beziehen. Sie sind Fußballer und darauf soll auch ihr Fokus in den kommenden Wochen liegen. Im kurzen Trainingslager bis zur WM sollte neben Torschuss- und Taktiktraining aber auch die eine oder andere Politiksitzung stattfinden, um einerseits die Zustände in Katar klar zu benennen und gleichzeitig den Spielern die Verantwortung bewusst zu machen. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen kündigte Leon Goretzka jedenfalls schon an, „größtmögliche Zeichen“ setzen zu wollen – bei der WM, für die er sich ein „anderes Land gewünscht hätte“. Immerhin. Man darf gespannt sein, wie sich das deutsche Team bei der WM schlägt. Sowohl auf dem Platz als auch am Mikrofon.

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Bildquelle: Pareekshith Indeever auf pexels; CCO-Lizenz