Liebeserklärung an: den Konjunktiv, der Träumer der Grammatik

Es sind die kleinen Dinge, die uns unseren tristen Alltag versüßen und das Leben ein bisschen besser machen. Ob es hübsche Gänseblümchen sind, die am Straßenrand wachsen oder eine Kugel deiner liebsten Eissorte – wir alle haben kleine Muntermacher in unserem Alltag, über die wir nur selten ein Wort verlieren. Das soll sich jetzt ändern! Wir bieten euch eine Liebeserklärung an die kleinen Dinge, die uns in stressigen Situationen retten, an schleppenden Tagen motivieren oder uns die guten Tage versüßen!

Lieber Konjunktiv,

gäbe es dich nicht, würde dieser Text nicht existieren. Du bist der Träumer unter den Zeitformen, das Irreale, das Unproduktive. Ohne dich wären Menschen niemals auf dem Mond gelandet, kein Paar würde heiraten und das Leben wäre verdammt langweilig. ‚Wäre es nicht mal schön‘ ist die Aussage, die alles ins Rollen bringen kann. Äußerungen im Konjunktiv müssen nie Realität werden und man weiß das, das macht sie so sympathisch. Die Zweifel, die in dir inbegriffen sind. Mit nur einer Form des Verbes ist alles gesagt, implizit. Die Menschen mögen dich nicht, lieber Konjunktiv. Hätte, hätte, Fahrradkette. Du stehst für alles, was nicht ist, aber gerne so sein sollte und dadurch auch für die Möglichkeit des Versagens. Durch dich wird Scheitern erst möglich gemacht, durch dich entsteht der Hohlraum zwischen Jetzt und Vielleicht-Irgendwann, indem sich Scheitern so wohl fühlt. Du bist der Ausdruck für Selbstzweifel. Du sagst, was du gerne hättest, aber nicht für realistisch hälst. Du stehst für die Ungewissheit der Zukunft und genau deswegen liebe ich dich. Der Konjunktiv steht immer ein bisschen wackelig auf den Beinen und schaut ein wenig schüchtern, ‚würdest du gerne?‘, fragt er und grinst dabei ganz schief. Hätte, könnte, würde steht für den Aufbruch, die Zukunft, die man anfängt zu gestalten, aber für absolut unwahrscheinlich hält. Die Gestaltung im Kopf, die erst noch zu einem realen Plan heranwachsen muss. Konjunktiv, du bist der Wille zur Veränderung. Genau deswegen, weil du so ehrlich bist. Du bist nicht so plump direkt wie ein Futur, nicht so selbstbewusst. Du steckst einen großen Zeh voraus, tastest mal die Lage ab. Auch wenn du alles noch anzweifelst.

Indirekte Rede wird immer im Konjunktiv formuliert. Deswegen stehst du mit deiner Fähigkeit, gesprochenes Wort an Dritte weiterzugeben, für die wichtigen Momente im Leben. Wenn jemand etwas wichtiges erzählt hat, wiederholen wir es mit deiner Hilfe. Was wäre es auch sonst wert, weiterzuerzählen als große Worte, große Neuigkeiten. Du, lieber Konjunktiv, gibst ihnen einen Ausdruck. Über dich werden deswegen die wichtigen Dinge weitergetragen, weitergegeben in indirekter Rede. Oder wer würde schon Gespräche über das Wetter und Abgabefristen für wichtig genug halten, um sie weiter zu erzählen?

Auf ein Leben im Konjunktiv!

Auf ein Leben im Konjunktiv! Wir wären auch viel glücklicher, gestünden wir uns mehr zu, zu träumen. Wir machten mehr Pläne, erschüfen neue Lebensrealitäten und würden uns nicht so leicht vom Hier und Jetzt abspeisen lassen. Du bist das wortgewordene Tagträumen, das so nie Realität werden muss oder vielleicht sogar kann. Du bist gegen das Planen, das Organisieren, ein bisschen unnötiges Grübeln und Ausmalen. Der Indikativ ist starr, unbezweifelbar, fest. Du bist immer ein bisschen blumig, ein bisschen wolkig, klingst immer ein wenig umständlich, so als wüsste man selbst nicht genau, was man gerade erzählt. Und genau das bist du ja. Du bist Unsicherheit und Zweifeln, ein bisschen ehrlicher als der Indikativ. Niemand zweifelt so sehr an sich wie du, lieber Konjunktiv, dabei solltest du das nicht. Du magst all das sein, was nicht ist, aber genau aus diesem Grund ist es wert, darüber zu sprechen. Oh, ein Baum – uninteressant, das sehe ich selbst. Hier könnten wir einen Baum pflanzen – sehr spannend. Vermutlich denkt ihr auch gerade – würde ich nicht diesen Text lesen, hätte ich bereits Abendessen gekocht. Oder wäre aus dem Bett aufgestanden. Also – zurück zur Produktivität, zurück ins Präsenz. Tja, hätte ein echt guter Text werden können.

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Bildquelle: Unsplash unter CC0 Lizenz