Frau die durch die Berge rennt

LiebesLeben: FOMO – Muss man wirklich alles ausprobieren?

The sunny side of FOMO

Ich selbst leide also erst seit vergleichsweise kurzer Zeit unter FOMO. Und überhaupt stellt sich die Frage, inwiefern man von Leiden sprechen kann. Schließlich hat FOMO keinesfalls nur schlechte Seiten. Sie treibt uns dazu an, uns aus unserer Komfortzone herauszubewegen und neue Erfahrungen zu sammeln – Erfahrungen, die uns reich machen und uns in unserem weiteren Leben durchaus von Nutzen sein werden. In der Generation, die die Hits von Madonna gefeiert hat, gab es den Begriff FOMO vermutlich noch nicht, aber die Frau hatte nicht unrecht, als sie in Material Girl sang: Experience has made me rich. Denn je mehr man erlebt hat, desto weiter ist der eigene Horizont. Mit jedem Menschen, den man gekannt und mit jedem Ort, den man gesehen hat, wird man besser darin, sich auf neue Orte und neue Menschen einzulassen. Mit jeder Erfahrung, die man gemacht hat, wird man zu einem offeneren Menschen. Socializen zu können und sich schnell an verschiedenste Situationen anpassen zu können, sind Fähigkeiten, die viel wert sind – jedenfalls wenn man das Bedürfnis hat, viel rumzukommen, erfolgreich zu sein oder ein erfülltes Sozialleben zu führen.

Ich will auch keine der Erfahrungen missen, die ich innerhalb des letzten Jahres – seit ich mal mehr und mal weniger unter FOMO leide – gesammelt habe. Es ist nicht falsch, an seine Grenzen zu gehen oder eine möglichst intensive Zeit auf dieser Erde haben zu wollen. Es ist natürlich und nützlich, Lust auf Leben zu verspüren. Der kritische Punkt ist nur, dass der Durst nach mehr nie gestillt ist – jedenfalls meiner bisherigen Erfahrung nach.

Meine elf Jahre ältere Schwester hat vor kurzem zu mir gesagt, dass sie es gut findet, dass ich meine Entscheidungen so getroffen habe, wie ich sie in den letzten Jahren eben getroffen habe – nämlich unter dem Gesichtspunkt, eine möglichst intensive Zeit zu haben und möglichst viel zu sehen, viel zu erleben. Sie sagte, dass sie glaubt, dass ich später nicht zurückblicken und das Gefühl haben werde, etwas verpasst zu haben. Aber ich denke, dass das nicht stimmt. Es gibt immer einen nächsten Schritt, eine höhere Stufe.

  • Ich habe vielleicht in Berlin gelebt, aber nie in New York.
  • Ich war vielleicht in haufenweise Clubs, aber nie im Berghain.
  • Ich bin vielleicht durch Spanien gereist, aber nie durch Mexiko.